PROF. OTTO ERICH DEUTSCH
WIEN II.
Böcklinstraße 26
Tel. R 45–6–72
1. April 1930.

Lieber verehrter Herr Doktor! 1

Nun habe ich zwei Breife zu beantworten. 2

Sie müssen freilich abwarten, wie sich Breitkopf zu Ihrem Buche 3 verhält. Ich glaube, dass er es jedenfalls gerne in Kommission nehmen wird, was ich für passender hielte, als Drei-Masken und Strache.

Den Brief Hobokens verstehe ich so, dass er Ihnen treu bleiben will als Schüler der Theorie, dass er aber sein Klavierspiel nur bis zu einem bald erreichbaren Grade vervollkommnen möchte, eventuell mit Breithaupt’s Hilfe (wenn er in der Musik neben dem Breitkopf nicht auch noch ein Breitbart als Dr. Eisenbart findet). 4 Sein Brief scheint mir recht demütig, aber sein noch längeres Verbleiben in Berlin beweist mir, das er sich vor Wien bereits fürchtet: vor dem ernsten Unterricht, dem Haydn-Katalog, dem Archiv und der Bibliothek. Die Phäaken 5 scheinen jetzt in Berlin zu hausen.

Ich fand neulich im Nachlass PohlMandyzewsky neuerdings Noten von Ihrer Hand: Schottische Lieder, wahrscheinlich aus der Ausgabe Napier, die mit beziffertem Bass erschienen ist.

Sie finden in der 3. Beilage ein Notenblatt von meiner ungeschickten Hand. Es betrifft einen kleinen Beethoven-Fund, den ich neulich gemacht habe. Ich schrieb mit vielen Mühen für das Kippenberg-Jahrbuch 6 des Insel-Verlags eine Bibliographie der Goethe-Kompositionen von Beethoven; wobei ich auch auf die Geschichte dieser {2} Werke eingegangen bin. Trotz des ungeheuren Umfangs der Beethoven-Literatur stösst man immer wieder auf Irrtümer. Aber das lustigste war, dass ich eine erste Fassung des Liedes „Neue Liebe neues Leben“ gefunden habe, die um 1807 bei Simrock erschienen ist, also etwa drei Jahre vor dem opus 75 bei Breitkopf, wo die bekannte Fassung mit zwei anderen Liedern gedruckt wurde. 7 Ich habe die beiden Lieder später parallel kopieren lassen. Aber ich sende Ihnen hier nur meine erste Notiz über den Schluss, um Sie zu bitten, meine Ansicht zu überprüfen: dass die von Nottebohm zitierte Skizze von 1798 (Nr. 1) 8 besser zum Simrock-Druck (Nr. 2) als zum Breitkopf-Druck (Nr. 3) passt. 9


Mit schönen Grüssen von Haus zu Haus
Ihr sehr ergebener
[signed:] O E Deutsch

3 Beilagen.

NB. War der gestrige Violinspieler Ihr Neffe?

© Transcription William Drabkin, 2023


PROF. OTTO ERICH DEUTSCH
VIENNA II
Böcklinstraße 26
Tel. R 45–6–72
Apri 1, 1930

Dear revered Dr. [Schenker], 1

I now have two letters to answer. 2

You must of course wait and see how Breitkopf is disposed towards your book. 3 I believe that it will in any event be glad to take it on a commission basis, which I would regard as more appropriate than Drei Masken or Strache.

I understand Hoboken’s letter as follows: he will remain faithful to you as a theory pupil, but he would like to perfect his piano playing only up to a degree that can be reached quickly, possibly with Breithaupt’s help (if he does not find, alongside Breitkopf in music, also a Breitbart as Dr. Eisenbart). 4 His letter seems to me quite submissive; but his even longer stay in Berlin proves to me that he is already afraid of Vienna: afraid of serious tuition, the Haydn catalog, the Archive, and his library. The Phaeacians 5 seem now to be making their home in Berlin.

I recently found in Pohl and Mandyczewski’s papers music in your hand: Scottish songs, presumably from the Napier edition, which were published with figured bass.

In the third enclosure, you will find a leaf of music in my inept hand. It concerns a small Beethoven discovery that I have recently made. With a great deal of effort, I wrote a bibliography of Beethoven’s Goethe settings for the Kippenberg-Jahrbuch, 6 published by the Insel Verlag; in doing so I explored the history of these works. {2} In spite of the immense range of the Beethoven literature, one is always coming up against errors. But the most amusing thing was that I have found a first version of the song Neue Liebe, neues Leben, which was published by Simrock in 1807, thus about three years before Breitkopf’s Op. 75, where the well-known version is printed with two other songs. 7 Later, I had the two songs copied in parallel. But I am sending you here only my first notation concerning the coda, in order to ask you to verify my opinion: that the sketch from 1798 quoted by Nottebohm (No. 1 [on the leaf]) 8 fits the Simrock print (No. 2) better than the Breitkopf print (No.3). 9


Best greetings from our house to yours,
Your very devoted
[signed:] O. E. Deutsch

3 inclosures

N.B. Was yesterday’s violinist your nephew?

© Translation William Drabkin, 2023


PROF. OTTO ERICH DEUTSCH
WIEN II.
Böcklinstraße 26
Tel. R 45–6–72
1. April 1930.

Lieber verehrter Herr Doktor! 1

Nun habe ich zwei Breife zu beantworten. 2

Sie müssen freilich abwarten, wie sich Breitkopf zu Ihrem Buche 3 verhält. Ich glaube, dass er es jedenfalls gerne in Kommission nehmen wird, was ich für passender hielte, als Drei-Masken und Strache.

Den Brief Hobokens verstehe ich so, dass er Ihnen treu bleiben will als Schüler der Theorie, dass er aber sein Klavierspiel nur bis zu einem bald erreichbaren Grade vervollkommnen möchte, eventuell mit Breithaupt’s Hilfe (wenn er in der Musik neben dem Breitkopf nicht auch noch ein Breitbart als Dr. Eisenbart findet). 4 Sein Brief scheint mir recht demütig, aber sein noch längeres Verbleiben in Berlin beweist mir, das er sich vor Wien bereits fürchtet: vor dem ernsten Unterricht, dem Haydn-Katalog, dem Archiv und der Bibliothek. Die Phäaken 5 scheinen jetzt in Berlin zu hausen.

Ich fand neulich im Nachlass PohlMandyzewsky neuerdings Noten von Ihrer Hand: Schottische Lieder, wahrscheinlich aus der Ausgabe Napier, die mit beziffertem Bass erschienen ist.

Sie finden in der 3. Beilage ein Notenblatt von meiner ungeschickten Hand. Es betrifft einen kleinen Beethoven-Fund, den ich neulich gemacht habe. Ich schrieb mit vielen Mühen für das Kippenberg-Jahrbuch 6 des Insel-Verlags eine Bibliographie der Goethe-Kompositionen von Beethoven; wobei ich auch auf die Geschichte dieser {2} Werke eingegangen bin. Trotz des ungeheuren Umfangs der Beethoven-Literatur stösst man immer wieder auf Irrtümer. Aber das lustigste war, dass ich eine erste Fassung des Liedes „Neue Liebe neues Leben“ gefunden habe, die um 1807 bei Simrock erschienen ist, also etwa drei Jahre vor dem opus 75 bei Breitkopf, wo die bekannte Fassung mit zwei anderen Liedern gedruckt wurde. 7 Ich habe die beiden Lieder später parallel kopieren lassen. Aber ich sende Ihnen hier nur meine erste Notiz über den Schluss, um Sie zu bitten, meine Ansicht zu überprüfen: dass die von Nottebohm zitierte Skizze von 1798 (Nr. 1) 8 besser zum Simrock-Druck (Nr. 2) als zum Breitkopf-Druck (Nr. 3) passt. 9


Mit schönen Grüssen von Haus zu Haus
Ihr sehr ergebener
[signed:] O E Deutsch

3 Beilagen.

NB. War der gestrige Violinspieler Ihr Neffe?

© Transcription William Drabkin, 2023


PROF. OTTO ERICH DEUTSCH
VIENNA II
Böcklinstraße 26
Tel. R 45–6–72
Apri 1, 1930

Dear revered Dr. [Schenker], 1

I now have two letters to answer. 2

You must of course wait and see how Breitkopf is disposed towards your book. 3 I believe that it will in any event be glad to take it on a commission basis, which I would regard as more appropriate than Drei Masken or Strache.

I understand Hoboken’s letter as follows: he will remain faithful to you as a theory pupil, but he would like to perfect his piano playing only up to a degree that can be reached quickly, possibly with Breithaupt’s help (if he does not find, alongside Breitkopf in music, also a Breitbart as Dr. Eisenbart). 4 His letter seems to me quite submissive; but his even longer stay in Berlin proves to me that he is already afraid of Vienna: afraid of serious tuition, the Haydn catalog, the Archive, and his library. The Phaeacians 5 seem now to be making their home in Berlin.

I recently found in Pohl and Mandyczewski’s papers music in your hand: Scottish songs, presumably from the Napier edition, which were published with figured bass.

In the third enclosure, you will find a leaf of music in my inept hand. It concerns a small Beethoven discovery that I have recently made. With a great deal of effort, I wrote a bibliography of Beethoven’s Goethe settings for the Kippenberg-Jahrbuch, 6 published by the Insel Verlag; in doing so I explored the history of these works. {2} In spite of the immense range of the Beethoven literature, one is always coming up against errors. But the most amusing thing was that I have found a first version of the song Neue Liebe, neues Leben, which was published by Simrock in 1807, thus about three years before Breitkopf’s Op. 75, where the well-known version is printed with two other songs. 7 Later, I had the two songs copied in parallel. But I am sending you here only my first notation concerning the coda, in order to ask you to verify my opinion: that the sketch from 1798 quoted by Nottebohm (No. 1 [on the leaf]) 8 fits the Simrock print (No. 2) better than the Breitkopf print (No.3). 9


Best greetings from our house to yours,
Your very devoted
[signed:] O. E. Deutsch

3 inclosures

N.B. Was yesterday’s violinist your nephew?

© Translation William Drabkin, 2023

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker’s diary for April 2, 1930: “Von Deutsch (Br.): Waldheims und v. H.s Brief zurücke; v. H. fürchte sich vor dem ernsten Unterricht, vor dem Haydn-Katalog, vor dem Archiv, und vor der Bibliothek, D. legt eine Notenskizze bei zu Beethovens ‘Neue Liebe, neues Leben’ op. 75 II mit einer Frage, die einen offenbaren Irrtum Nottebohms betrifft.” (“From Deutsch (letter): Waldheim’s and Hoboken’s letters returned; Hoboken is afraid of serious tuition, of the Haydn catalogue, of the Archive and of his library, Deutsch encloses a musical sketch for Beethoven’s Neue Liebe, neues Leben, Op. 75, No. 2, with a question that concerns an apparent mistake of Nottebohm’s.”).

2 That is, Hoboken’s letter to Schenker (OJ 89/4, [4]), received on March 31, and Schenker’s letter to Deutsch sent on the same day: “An Deutsch (Br.): schicke den Brief H.s, bitte um Aufklärung der dunkeln Stelle.” (“To Deutsch (letter): I send him Hoboken’s letter and ask him to explain the obscure passage.”). The “obscure passage” is clarified by the March 31 diary: Hoboken, in his letter, said he would remain Schenker’s “chronic pupil” (chronischer Schüler).

3 Schenker’s large-scale study of Beethoven’s “Eroica” Symphony. Ultimately, it was published by Drei Masken Verlag at the end of the year, as the third Meisterwerk yearbook.

4 Deutsch is making a joke on the surname of Rudolf Breithaupt (“broad head”), which he compares to Breitkopf (also “broad head”) and then invokes two further names, meaning “broad beard” and “iron beard” respectively. Eisenbart is the name of a noted German eye surgeon, immortalized in a drinking song “Ich bin der Doktor Eisenbart” written around 1800.

5 In Greek mythology, a sea-faring people highly favored by Poseidon (Neptune), whose ships steered their course by reading the minds of their captains; these took Odysseus to his final destination, his home town of Ithaca. The land of Phaeacea, as described in Homer’s Odyssey, is a kind of utopia, and the word Phäaker is used colloquially in Austrian German to mean well-to-do people who indulge in pleasurable activities

6 Otto Erich Deutsch, "Beethovens Goethe-Kompositionen," Jahrbuch der Sammlung Kippenberg 8 (1930), pp. 102–33.

7 The first version of Neue Liebe, neues Leben, WoO 117, and two other Beethoven songs from the 1790s were published by Simrock in 1808 as III Deutsche Lieder, probably without the composer’s authority.

8 Gustav Nottebohm, "Zwei Skizzenbücher aus den Jahren 1798 und 1799," in Zweite Beethoveniana (Leipzig: Rieter-Biedermann, 1887), pp. 476–94; the sketch in question is reproduced on p. 481.

9 Schenker replied two days later, confirming Deutsch’s opinion. Deutsch subsequently published a study, "Ein vergessenes Goethelied von Beethoven: ‘Neue Liebe, Neues Leben’ in erster Fassung," Die Musik 23/i (1930–31), pp. 19–23.