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19. Wolkenlos.

— Nach offizieller Rechnung fünfzig Jahre alt geworden, ein Datum das nach neuester {693} Unsitte den Vielschreibern Gelegenheit zu Feuilletons u. sonstigen Anpreisungen u. Rubrizierungen gibt. Glücklicherweise ist die Resonanz meines Wirkens heute noch zu gering, als daß sich Journalisten des Tages bemächtigt hätten. Allerdings wüßte ich auch nicht, wie je solches selbst in fernsten Zeiten es möglich wäre würde, wie eine so wenig oberflächliche Betrachtungsweise, wie die meine, zu Allgemeinbesitz werden könnte, u. vor allem, wie sich je das große Publikum durch mich das Wort vom Munde nehmen lassen wollte, ich meine das Urteil in Musikdingen, das es am liebsten selbst aussprechen ausspricht. Die Lehren eines Kopernikus u. Galiläi in den Schulen zu hören, tut keinem Menschen Schulkind u. auch dem Erwachsenen nicht weh’, da er in den betreffenden Materien sich ohnehin jeglichen Urteils enthält u. wegen Mangel an Fähigkeit von solchen Problemen auch schon sonst aus Eigenem geflissentlich absieht. Nur in Sachen der Kunst, da will jeder sein Wörtlein mitreden! Uns so müßte der Weg zu meiner Anerkennung erst über die Leichen an Eitelkeit führen, ein Erfolg, der nicht früher zu erreichen ist, bevor sich mir eine hinreichend große Anzahl eben vorurteils- u. eitelkeitsfreier Menschen zur Verfügung gestellt hat, die die übrigen schon durch eine gewisse Kompaktheit der Zahl im Zaune halten könnte. Vorläufig bescheide ich mich gerne auch damit, daß Herr Liepmannsohn in Berlin antiquarisch die Harmonielehre verhandelt. —

— Vormittags Fortsetzung der Einkäufe: 2 Stück Seife à 7.20 Kronen, Gürtel u. Touristenhütchen. Letzteres kaufen wir beim Hoflieferanten Ita am Graben u. erleben dabei, daß die Verkäuferin uns selbst, die wir den Preis von einem im Hütchen angebrachten Zettel mit Kr. 15 ablesen konnten, in die Augen erklärt, das Stück sei noch nicht „ausgepreist“ u. – 30 Kronen fordert! Weiter kann die Frivolität des „Hinaufnummerierens“ wohl kaum gehen. — Schuhe bei Schlesinger gekauft; die Verkäuferin preist die gute echte Sohle an, die Schuhe als Erzeugnis Schweizer oder Wiener Firmen. Wir schließen den Kauf in Bedrängnis ab, nicht zum geringsten Teil durch die Anpreisung veranlaßt, u. sind nun umsomehr überrascht, auf dem Preiszettel zu lesen: „Ohne Gewähr für Material!“ — {694} Von Mittelmann erscheint das Feuilleton über den jungen van Beethoven ; 1 die undankbare Aufgabe hat er recht geschickt gelöst, wobei nur zu bedauern ist, daß da für einen andern um Hilfe wirbt einer, der selbst der größten Hilfe bedürfte bedarf. Daher hege ich für den Erfolg nur geringste Hoffnung. — Mittelmann im Caféhaus; spreche ihm gegenüber mein Urteil auch mündlich aus. — An Dr. Plattensteiner (K.): verweise ihn auf das Feuilleton. 2 — Von Sophie ein Kistchen mit 2 Broten. — Von Brünauer erbitte ich noch Cacao u. Bäckerei.

© Transcription Marko Deisinger.

19. Cloudless.

— By official reckoning, I am fifty years old today, a date that, in accordance with the latest bad habit, {693} will give the scribblers opportunity to write feuilletons and other commendations and categorizations. Fortunately, the resonance of my activities is today still too modest for the journalists of the day to take possession of them. At any rate I, too, would not know how it be possible – even in the most distant future – for such a thing as an unsuperficial way of contemplation, as mine is, to become general currency, and above all how the great public would ever want to allow itself to take from me words – I mean judgments in musical matters – which it would most prefer to express itself. To hear the theories of a Copernicus or Galileo in a school do nothing to jar a schoolchild or even an adult, since they will in any event refrain from making any judgement and, for want of capability, intentionally avoid such problems on their own. Only in matters of art will everyone want to have his say! And so the path to my recognition must first lead beyond the corpses of vanity – a success that will not be reached before a sufficiently large number of unprejudiced and vanity-free people have come into my service, who can contain themselves by a certain restrictedness in number. For the time being I am even content that Mr. Liepmannssohn in Berlin is dealing with my Theory of Harmony as an antiquarian book. —

— In the morning, continuation of purchases: two bars of soap for 7.20 Kronen each, belts and tourist caps. We bought the last of these at the court purveyor Ita in the Graben and, in doing so, experience the saleslady telling us to our face that the price of a cap with a price tag of 15 Kronen – which we are able to read clearly – has not yet been "repriced" and demands 30 Kronen for it! The frivolity of "upward reckoning" can hardly go further. — Shoes bought from Schlesinger; the saleslady praises the good, genuine soles, touting them as the products of Swiss or Viennese companies. We conclude the purchase under pressure, compelled not least by the recommendation, and are all the more surprised to read on the price-tag: "material not guaranteed"! — {694} Mittelmann's feuilleton about the young Beethoven is published; 1 he accomplished the ungrateful task with true skill. It is only to be regretted that he is appealing for help for someone else, while he himself is in need of the greatest help. For this reason, I hold out only the slenderest hope for success. — Mittelmann at the coffee house; I express my judgment about it also face to face. — Postcard to Dr. Plattensteiner : I refer him to the feuilleton. 2 — From Sophie, a small box containing two loaves of bread. — From Brünauer I ask in addition for cocoa and baked goods.

© Translation William Drabkin.

19. Wolkenlos.

— Nach offizieller Rechnung fünfzig Jahre alt geworden, ein Datum das nach neuester {693} Unsitte den Vielschreibern Gelegenheit zu Feuilletons u. sonstigen Anpreisungen u. Rubrizierungen gibt. Glücklicherweise ist die Resonanz meines Wirkens heute noch zu gering, als daß sich Journalisten des Tages bemächtigt hätten. Allerdings wüßte ich auch nicht, wie je solches selbst in fernsten Zeiten es möglich wäre würde, wie eine so wenig oberflächliche Betrachtungsweise, wie die meine, zu Allgemeinbesitz werden könnte, u. vor allem, wie sich je das große Publikum durch mich das Wort vom Munde nehmen lassen wollte, ich meine das Urteil in Musikdingen, das es am liebsten selbst aussprechen ausspricht. Die Lehren eines Kopernikus u. Galiläi in den Schulen zu hören, tut keinem Menschen Schulkind u. auch dem Erwachsenen nicht weh’, da er in den betreffenden Materien sich ohnehin jeglichen Urteils enthält u. wegen Mangel an Fähigkeit von solchen Problemen auch schon sonst aus Eigenem geflissentlich absieht. Nur in Sachen der Kunst, da will jeder sein Wörtlein mitreden! Uns so müßte der Weg zu meiner Anerkennung erst über die Leichen an Eitelkeit führen, ein Erfolg, der nicht früher zu erreichen ist, bevor sich mir eine hinreichend große Anzahl eben vorurteils- u. eitelkeitsfreier Menschen zur Verfügung gestellt hat, die die übrigen schon durch eine gewisse Kompaktheit der Zahl im Zaune halten könnte. Vorläufig bescheide ich mich gerne auch damit, daß Herr Liepmannsohn in Berlin antiquarisch die Harmonielehre verhandelt. —

— Vormittags Fortsetzung der Einkäufe: 2 Stück Seife à 7.20 Kronen, Gürtel u. Touristenhütchen. Letzteres kaufen wir beim Hoflieferanten Ita am Graben u. erleben dabei, daß die Verkäuferin uns selbst, die wir den Preis von einem im Hütchen angebrachten Zettel mit Kr. 15 ablesen konnten, in die Augen erklärt, das Stück sei noch nicht „ausgepreist“ u. – 30 Kronen fordert! Weiter kann die Frivolität des „Hinaufnummerierens“ wohl kaum gehen. — Schuhe bei Schlesinger gekauft; die Verkäuferin preist die gute echte Sohle an, die Schuhe als Erzeugnis Schweizer oder Wiener Firmen. Wir schließen den Kauf in Bedrängnis ab, nicht zum geringsten Teil durch die Anpreisung veranlaßt, u. sind nun umsomehr überrascht, auf dem Preiszettel zu lesen: „Ohne Gewähr für Material!“ — {694} Von Mittelmann erscheint das Feuilleton über den jungen van Beethoven ; 1 die undankbare Aufgabe hat er recht geschickt gelöst, wobei nur zu bedauern ist, daß da für einen andern um Hilfe wirbt einer, der selbst der größten Hilfe bedürfte bedarf. Daher hege ich für den Erfolg nur geringste Hoffnung. — Mittelmann im Caféhaus; spreche ihm gegenüber mein Urteil auch mündlich aus. — An Dr. Plattensteiner (K.): verweise ihn auf das Feuilleton. 2 — Von Sophie ein Kistchen mit 2 Broten. — Von Brünauer erbitte ich noch Cacao u. Bäckerei.

© Transcription Marko Deisinger.

19. Cloudless.

— By official reckoning, I am fifty years old today, a date that, in accordance with the latest bad habit, {693} will give the scribblers opportunity to write feuilletons and other commendations and categorizations. Fortunately, the resonance of my activities is today still too modest for the journalists of the day to take possession of them. At any rate I, too, would not know how it be possible – even in the most distant future – for such a thing as an unsuperficial way of contemplation, as mine is, to become general currency, and above all how the great public would ever want to allow itself to take from me words – I mean judgments in musical matters – which it would most prefer to express itself. To hear the theories of a Copernicus or Galileo in a school do nothing to jar a schoolchild or even an adult, since they will in any event refrain from making any judgement and, for want of capability, intentionally avoid such problems on their own. Only in matters of art will everyone want to have his say! And so the path to my recognition must first lead beyond the corpses of vanity – a success that will not be reached before a sufficiently large number of unprejudiced and vanity-free people have come into my service, who can contain themselves by a certain restrictedness in number. For the time being I am even content that Mr. Liepmannssohn in Berlin is dealing with my Theory of Harmony as an antiquarian book. —

— In the morning, continuation of purchases: two bars of soap for 7.20 Kronen each, belts and tourist caps. We bought the last of these at the court purveyor Ita in the Graben and, in doing so, experience the saleslady telling us to our face that the price of a cap with a price tag of 15 Kronen – which we are able to read clearly – has not yet been "repriced" and demands 30 Kronen for it! The frivolity of "upward reckoning" can hardly go further. — Shoes bought from Schlesinger; the saleslady praises the good, genuine soles, touting them as the products of Swiss or Viennese companies. We conclude the purchase under pressure, compelled not least by the recommendation, and are all the more surprised to read on the price-tag: "material not guaranteed"! — {694} Mittelmann's feuilleton about the young Beethoven is published; 1 he accomplished the ungrateful task with true skill. It is only to be regretted that he is appealing for help for someone else, while he himself is in need of the greatest help. For this reason, I hold out only the slenderest hope for success. — Mittelmann at the coffee house; I express my judgment about it also face to face. — Postcard to Dr. Plattensteiner : I refer him to the feuilleton. 2 — From Sophie, a small box containing two loaves of bread. — From Brünauer I ask in addition for cocoa and baked goods.

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Der Letzte vom Stamme van Beethoven. Ein Besuch beim Urgroßneffen des Meisters," Neues Wiener Tagblatt, No. 166, June 19, 1917, 51st year, pp. 3-5.

2 See footnote 1